"Eisenwahn oder Freude am Steigen?
Klettersteige versprechen Vergnügen in der Senkrechten auch für Menschen, die alpines Gelände nicht gewohnt sind. Sie sind aber oft so gebaut, dass man ohne alpine Erfahrung gefährlich lebt. Mehr Bescheidenheit aller Beteiligten brächte weniger Risiko.
Von Andi Dick
Wer ist auf die Idee gekommen, durch diese
bröckeligen Schrofen einen Steig zu bauen?“
Folkert Lenz schimpfte in DAV Panorama
4/2011 über Steinschlag und wacklige Haken
am Iseler-Klettersteig im Allgäu. Und der Erbauer,
ein Bergführerkollege aus dem Allgäu,
fühlte sich zu Unrecht angegriffen: Der Steig sei
technisch vorbildlich angelegt und ein bergsportliches
Vergnügen. Ein Check vor Ort bestätigt:
Die Anlage ist handwerklich gut gemacht,
und erfahrene Bergsteiger (die Eisengriffe
nicht scheuen) können daran Spaß haben.
Aber es gibt ein Problem, wenn man den Steig
„für sportliche Anfänger“ empfiehlt, wie es zum
Beispiel das Tourenportal outdooractive.com
tut, oder wenn die Hindelanger Touristiker locken:
„Eine herrliche Bergkulisse bietet sich all
jenen, die sich trauen.“ Denn wenn es vermeintlich
„nur“ ums Trauen geht, wenn Anfänger in
Gelände geleitet werden, wo Felsen bröckeln
können und wo zwischen Felsplatten erdige
Passagen nach Regen die Sohlen rutschig machen,
dann wird es gefährlich. Und wer hört
schon auf die Mahnung von Bergbahngesellschaft
und Bergschule, der Steig eigne sich „nur
für Geübte“?
Trend zum Drahtseil
Der Klettersteigboom hält an. Jedes Jahr werden
reihenweise neue eiserne Attraktionen eröffnet.
Tourismusverbände, Seilbahnbetreiber,
Hüttenwirte wollen ihre Marktchancen verbessern.
Aber die Produkte passen manchmal
nicht zur Zielgruppe. Wenn sie etwa, wie der
„Sieben-Gipfel-Steig“ im schrofigen Rofan,
durch alpines Gelände führen, in dem weniger
erfahrene Geher fast zwangsläufig Steine abtreten.
Oder wenn sie steile, kompakte Felszonen
ohne Tritthilfen überwinden, so dass man
nur am Drahtseil hinaufhangeln muss. Zusammen
mit der Tendenz zum „Immer schwerer“
werden Klettersteige dann zu „Rampfsteigen“,
weil Begeher, die keine sehr gute Klettertechnik
mitbringen, sich nur mit Armkraft hinaufzerren
werden, ohne die Bewegung aus einem soliden
Tritt-Fundament zu starten. Was mit den oft
eher klobigen Klettersteigschuhen zwei Gefahren
birgt: instabilen Stand und müde Arme.
Besser machen es viele französische Ferrata-
Architekten – oder die am Dachstein: Hier dient
das Drahtseil vor allem der Sicherung, zum
Klettern gibt es Stifte oder Stahlbügel – das ermöglicht
eine natürliche, fast schon echte Kletterbewegung;
freilich um den Preis von mehr
Eisen im Fels (vielleicht sollte man lieber gleich
Kunstgriffe anbringen …).
Ein weiteres Problem entsteht, wenn eine
Kernbotschaft zu Klettersteigen nicht verstanden
oder akzeptiert wird: Am Klettersteig darf
man nicht stürzen! Nach diversen überraschenden
Problemen und Rückrufaktionen sind zwar
die heute angebotenen Sicherungssets technisch
o.k., aber das ändert nichts an der Tatsache:
Sie sind Notfallinstrumente, wie der Airbag
im Auto. Man fällt am Klettersteig bis zur
nächsten Drahtseilfixierung meistens einige
Meter, hat dabei große Chancen, sich im gestuften
Gelände die Knochen zu brechen oder
sich einen Eisenstift ins Fleisch zu spießen –
und wenn die Karabiner an der Fixierung nicht
brechen, dann bremst das Klettersteigset den
Sturz rabiat, wie eine Isomatte einen Fünfmetersturz
auf Betonboden. Wer auf Leben und
Gesundheit Wert legt, wird am Klettersteig
nicht stürzen wollen. Doch wenn man sich an
den Ferratas umschaut, scheint das nicht zu
zählen: Immer wieder sieht man offensichtlich
überforderte Menschen weit über der Sicherung
herumeiern. Kennen sie die Gefahr nicht?
Oder sind sie getrieben von der Maxime der
Wachstums-Gesellschaft, dass man seine
Grenzen erfahren und erweitern müsse?
Leitern im Wettbewerb
Öl ins Feuer solcher Antriebe ist das Wettrüsten
um den schwersten, steilsten, wildesten Drahtseilweg.
Was für ein Quatsch! a) Klettersteige
sind ohnehin künstliche Kletterei – hier maximale
Schwierigkeiten anzustreben, ist so sinnvoll,
wie eine Leiter überhängend statt geneigt
an einer Wand anzulehnen. b) Grenzen auszuloten
ist am besten vertretbar, wenn die Sicherung
Stürze erlaubt, etwa beim Sportklettern
mit Seil. Glücklicherweise überwiegen doch oft
Einsicht und Selbsterhaltungstrieb; anders ist
kaum zu erklären, dass vor allem an Klettersteigen
die Bergungen wegen „Blockierung“ (wenn
man sich nicht mehr vor noch zurück traut) zunehmen
– gut für die Gesundheit, mühsam für
die Rettungsdienste, schlecht für die Versicherungsprämie
und damit langfristig für die DAVMitgliedsbeiträge.
Ein Lichtblick ist, dass manche Gemeinden bei
ihren Neuanlagen auf „Genuss“-Klettersteige
setzen: Im relativ einfachen Gelände kann man
oft sogar wirklich mit Händen und Füßen am
Fels klettern, wie auch bei den klassischen „Eisenwegen“
der Dolomiten oder der Julischen
Alpen. Die Kriterien des DAV, die Klettersteig-
Neubauwünsche seiner Sektionen regulieren,
verbitten sich ohnehin „aufwändige Ausrüstungen“
wie Flying Foxes „als Selbstzweck“:
Berge sollen nicht zum Jahrmarkt werden. DAV
und OeAV fordern in ihrem gemeinsamen Papier,
Bauprojekte mit allen Interessengruppen
und Naturschutzansprüchen abzustimmen,
sanft erschlossene Regionen davon zu verschonen
und Wartung und eventuellen Rückbau
auch finanziell sicherzustellen.
Dies ist die Aufgabe der Alpenvereine, zusammen
mit der Warnung vor unzureichender Ausrüstung
und -anwendung. Die Touristiker sollten
in ihren Lobreden weniger mit dem Kitzel
der Grenze werben, sondern mit der Freude an
souveränem Können. Und die Akteure – im Bewusstsein,
auf keinen Fall fallen zu dürfen –
nur das auswählen, was sie hundertprozentig
im Griff haben. Wenn Anpreisung, Erwartung
und Realität zusammenfallen, müssen Klettersteige
nicht der Niedergang des Alpinismus
sein, sondern bleiben eine akzeptable Spielform
zwischen Wandern und Klettern."
Quelle:
www.alpenverein.de/DAV-Services/Panorama-Magazin/